02.11.22

Effektive Pflegeextrakte

Wir starten jetzt ins zweite Jahr, in dem wir auf biologischen Pflanzenschutz verzichten werden, wir also nur noch Pflanzenstärkung machen werden. Im letzten Jahr konnten wir beobachten, dass keine wesentlichen Schäden mehr durch Insekten aufgetreten sind und bakterielle Krankheiten nur noch eine geringe Bedeutung hatten. Eine Voraussetzung für widerstandsfähige Pflanzen, die keinen nennenswerten Schädlingsbefall zeigen, liegt nicht in der Pflanze selbst, sondern in den chemisch messbaren Voraussetzungen im Boden und in den Funktionen eines gesunden Bodenmikrobioms.

Klare Aussagen zur chemischen Entwicklung des Bodens bekommen wir über eine umfangreiche jährliche Bodenanalysen. Hier zeigt sich, dass auf allen untersuchten Flächen eine Erhöhung des Humusgehaltes zur Vorjahresanalyse erreicht wurde. Viele der Maßnahmen, die zu diesem Erfolg geführt haben, wurden in den letzten Ausgaben der Genusszeit beschrieben. Über die Erkenntnisse der regenerativen Landwirtschaft hinaus ist wesentlich in der Betrachtung, dass WiesenObst eigentlich ein altes Agroforstsystem ist, das die Treibhausgase effektiv reduziert und so zum Klimaschutz beiträgt.

Im Unterschied zu intensiven Obstbaumkulturen auf kleinen Baumformen, die jedes Jahr direkt hohe Fruchterträge über kurze Bewirtschaftungszeiträume erbringen sollen, nutzen diese waldartigen Baumriesen einen Teil ihrer Fotosyntheseleistung, um Kohlenstoff über die Wurzel in den Boden auszuscheiden. Eine gute Investition, denn Mykorrhizenpilze sind auf diesen Kohlenstoff als Energielieferant angewiesen, um selbst wachsen zu können. Über die symbiotische Verbindung mit Mykorrhizen erhält der Baum im Austausch für den gelieferten Kohlenstoff (in Form einfacher Zucker) wichtige Mikronährstoffe, de er selbst benötigt, um langkettige Nährstoffe herzustellen. Sie ermöglichen unter anderen in den Blättern die Bildung einer Schutzschicht, die saugende und beißende Insekten nicht durchdringen können.

Im Zusammenspiel mit dem Bodenmikrobiom können Bäume selbst Abwehrstoffe für eine aktive Immunität sowohl gegen bakterielle Krankheiten als auch gegen Fraßfeinde bilden. Viele dieser Käfer werden oft als Schädlinge im Obstbau betrachtet. Eigentlich haben sie aber eine Aufräumerfunktion, in dem sie kranke Pflanzen erkennen und sie angreifen. Sie beschleunigen das Ende dieser kranken Pflanzen, wodurch die Gesunden mehr Möglichkeiten des Wachstums bekommen. Ist uns Menschen vielleicht das Wissen und Gespür für Gesundheit als Normalzustand verloren gegangen? Krank aus Sicht des Käfers sind Pflanzen, die eben nicht zum Selbstschutz mittels entsprechender Konzentrationen sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe in der Lage sind. Für uns zeichnen sich gesunde Pflanzen zuerst durch kräftiges Aroma und Geschmack aus.

Der Schlüssel für die Zukunft liegt in gesunden Pflanzen durch regenerative Landwirtschaft und im speziellen Fall des Obstes zur Verarbeitung noch zusätzlich in der Art des Anbaus. Wir entscheiden uns für stark verwurzelte und große Baumformen in der Anpflanzung, wohl wissend, dass diese die ersten zehn bis 20 Jahre für das eigene Wachstum, den Aufbau und die Vernetzung mit dem Bodenmikrobiom nutzen werden und volle Fruchterträge erst in der nächsten Menschengeneration verfügbar sein werden. Der Ertrag eines Baumes reduziert sich aber eben nicht auf die Frucht. Die Fotosyntheseleistung ist die eigentliche Ertragseinheit, sie führt über die Aufnahme von CO2 aus der Luft im Endeffekt zum Aufbau von Humus durch die Einlagerung von Kohlenstoff in den Boden. Für den Baum sind aber die Mikronährstoffe entscheidend, die er über symbiotische Beziehungen mit Bodenpilzen und Mikroorganismen erhält. Nur dadurch kann sich der Baum gesund erhalten. Gesunde Früchte für den Menschen selbst definieren sich aus meiner Sicht zu einem guten Teil über den Gehalt an Mikronährstoffen und den daraus gebildeten Abwehrstoffen (Antioxidantien) der Pflanze, die auch die Grundlage unserer Immunabwehr sind.

Das größte Geschenk ist vielleicht, ein intuitives Gespür zu entwickeln, eine Art enge Verbindung zu den Bäumen und Empathie, die einem schließlich die richtigen Entscheidungen treffen lassen. Wer bei mir an einer "Sonntagsführung" teilnimmt, kann vielleicht eine kleine Ahnung davon bekommen. Er sollte sich aber auf jeden Fall mit Erdebeschäftigen. Boden in die Hand nehmen, selbst einmal Boden auch als Grundlage zu erfahren, sich "erden". Das Bodengefüge auf unseren Obstwiesen hat sich spürbar verbessert - unser Boden riecht nach einem Mix aus Karotte und Waldboden, er lässt sich zusammendrücken zu einem Klumpen und kann in der Hand wieder zu feinkrümeligen, runden Bodenkörnchen zerbröselt werden. Ein Boden, der Wasser aufnehmen und speichern kann und sie Pflanzen auch zur Verfügung stellt, mit genügend Raum für Mikroorganismen und Sauerstoff.

John Krempf, Vordenker und Berater für regenerative Landwirtschaft in den USA, zeigt in seinen Vorträgen entscheidende Vorteile für die Gesellschaft und das Ökosystem auf. Er glaubt, dass es möglich ist, Pflanzengesundheit bis zu einem Punkt zu unterstützen, an dem die Pflanzen resistent gegen alle Krankheiten und Insektenattacken sind. Damit wäre der Einsatz von Pestiziden komplett überflüssig. Er führt außerdem aus, dass über die Selbstregenerierung der Bodengesundheit eine Reduzierung oder in den meisten Fällen sogar ein kompletter Verzicht auf Dünger erfolgen kann, so dass langfristig kein Einsatz von Stickstoff, Phosphor oder Kalium notwendig ist.

"Es ist möglich Pflanzen anzubauen, die ein so robustes Immunsystem haben, dass sie weder Krankheiten bekommen noch von Insekten attackiert werden. Wenn Pflanzen ein robustes Immunsystem haben, können sie diese Abwehrkräfte an die Menschen weitergeben, die sie verzehren", sagt John Kempf. Seiner Ansicht nach enthält Obst und Gemüse, das mit der Zielsetzung angebaut wird, möglichst hohe Erträge zu erreichen, so wenig Nährstoffe, dass es nicht wert ist, diese Produkte überhaupt zu essen. Sie ernähren uns nicht.

In der Landwirtschaft steckt das Potential, die Entstehung von Krankheiten zu vermeiden, anstatt später die Symptome zu behandeln. Landwirte können durch "nutrient dense food" als Grundlage mehr zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen, als das Gesundheitssystem selbst.

Bio Landbau und regenerative Landwirtschaft entstanden aus denselben Grundideen"

so Kempf. Er sieht Landwirte als Minderheitengruppe, die einfach zu manipulieren ist und fordert, dass Landwirte die Verantwortung für ökologische Gesundheit wahrnehmen, aber auch die geldwerte Anerkennung dafür bekommen.

Der "WiesenObst e.V." hat begonnen die Regeneration einzigartiger Kulturlandschaften und schützenswerter Naturräume federführend umzusetzen. Ein nächster Schritt besteht im Arbeitskreis Bildung in der stärkeren Vernetzung und Verknüpfung untereinander, die viele WiesenObst-Bewirtschafterfamilien unterstützen und inspirieren soll. Deshalb gehen wir auch mit unserem eigenen Obstanbau in Feldversuchen immer mutig voran. Für nachhaltige, regenerative und gesunde Landwirtschaft etwas zu bewegen, das ist mir eine Herzensangelegenheit.