17.06.21

MYK

Unser Boden: Leben im Verborgenen

Unsere Wahrnehmung beschränkt sich im Allgemeinen doch auf das Offensichtliche – das gilt auch für unsere Beobachtung der Natur. Beim Anblick einer tief verschneiten Landschaft denken wir an Winterruhe – aber ein Blick unter die Schneedecke lohnt sich, und manchmal braucht es nicht mehr als einen Spaten, um Verborgenes offensichtlich zu machen. Die Spatenprobe offenbart die Struktur des Bodens. Beim ‚garen‘ feinkrümligen Boden sind die Bodenschichten eingebunden – der ‚ungare‘ Boden klappt hingegen auseinander wie ein Buch und die einzelnen, groben Schichten verlieren Ihre Verbindung untereinander.
Der Spaten erlaubt auch erste Einblicke in die biologische Aktivität, ein für jedermann sichtbarer Indikator sind die Regenwürmer, deren Anzahl und Häufigkeit. Und selbst Ende Januar sind diese fantastischen Bodenarbeiter noch dabei das vom Herbst verbliebene Laub zu zerkleinern und zu verdauen. Damit tragen sie ihren Teil dazu bei, die Masse organischer Substanzen im Boden wieder einzubauen.
ABER WARUM BESCHÄFTIGEN WIR UNS MIT DEM BODEN?
Alle Welt redet von der Klimakrise, mit verursacht durch die zu hohen CO2 Emissionen. Auch die Politik reagiert, eine CO2 Steuer ist kreiert worden. Übersehen wird dabei, dass guter, d.h. kohlenstoffreicher Boden die Grundlage für Pflanzenwachstum ist, eine natürliche Ressource die regenerative und bodenaufbauende Landwirtschaft fördert und nutzt. Wie CO2 als Kohlenstoff im Boden landet? Die Antwort heißt: mittels Fotosynthese, einem chemischen Prozess, mit dem Bäume und fast alle übrigen Pflanzen CO2 absorbieren und aufspalten. Der Kohlenstoff wird in einfache Zucker verwandelt. 30 -70 % davon werden in die Wurzeln transportiert und dort als ‚Währung‘ eingesetzt, mit der die Pflanze Mineralien und andere Nährstoffe ‚einkauft‘. Der Sauerstoff, O2, wird an die Luft abgegeben.
KLEINE BODENKUNDE FÜR FORTGESCHRITTENE
Für die Einbindung des Kohlenstoffs im Boden sind aber nicht nur die Baumriesen und die Pflanzen in der Wiese darunter verantwortlich – es muss einen funktionierenden Kreislauf geben damit Humusaufbau langfristig gelingt. Die Menge an organisch gebundenem Kohlenstoff in Form von Bodenorganismen und Pflanzenresten in verschiedenen Stadien des Zerfalls wird als Humusgehalt eines Bodens angegeben. Hier streben wir einen Wert von mehr als 5 % an. Zur Ermittlung des messbaren Zustands bedienen wir uns der ‚Albrecht Boden Analyse’*. Dafür bin ich mit meiner Tochter Sofia auch mal am Sonntag mit dem Quad auf den Obstwiesen unterwegs. Wir stechen in jedem Stückle 15 - 30 Spatenproben, mischen diese und geben die Proben ins Labor. Zurück erhalten wir Aussagen zu den grundlegenden Bodeneigenschaften. So ist der Parameter der potenziellen und der aktuellen Kationen Austauschkapazität ein Indikator für die mikrobielle Besiedlung der Tonmineralien. Der potentielle und der aktuelle pH-Wert zeigen die Bodenatmung und damit die Stressfestigkeit des Bodens an. Über die Basensättigung mit den beiden größten basischen Nährstoffen, Kalzium und Magnesium, sind Rückschlüsse auf die Bodenporenbildung und auf die Stickstoffeffizienz möglich. Wenn dieses Gleichgewicht im Boden nicht mehr stimmt, verliert er seine Durchlässigkeit. Das Verhältnis der Makro-, Meso- und Mikroporen verschiebt sich hin zu den Mikroporen. Mikroporen sind aber für die meisten Bodenorganismen zu klein, um sie zu besiedeln. Deswegen verlieren solche Böden ihre lebensaufbauende Struktur und werden je nach Übersättigung schnell zu trocken, zu fest oder gar seifig schmierig. Mit dem Analyseergebnis kommen Empfehlungen, die aus den Messwerten abgeleitet werden: einzelne Mangelerscheinungen oder Übersättigungen können durch konkrete Maßnahmen zielgerichtet beseitigt und ausgeglichen werden.
Mindestens so wichtig wie die richtigen Mineralien sind die Bodenlebewesen, eigentlich eine riesige Herde mikroskopisch kleiner Nutztiere. Und die will gefüttert werden! Im Arbeitskreislauf der Manufaktur ist der anfallende Trester als Pressrückstand unser wahrer Schatz, wenn wir diesen im Herbst direkt in eine Fermentation bringen. Die spätere Ausbringung dieses ‚Superfutters‘ findet immer in einem wachsenden Bestand statt, so erfolgt schnell eine Umsetzung durch die vorhandenen Bodenorganismen. Dies führt zu langfristigem Humusaufbau durch organische Düngung. Die aktiven Pflanzen schaffen mit der Abgabe von Zucker, Aminosäuren und anderen organischen Säuren für die Bodenorganismen verbesserte Bedingungen, somit wird das Herauslösen der Bodenmineralien erhöht, der Abbau von organischem Material findet vermehrt statt und der Boden lockert sich.
Guter Boden weist einen fließenden Übergang zum Unterboden auf und zeichnet sich durch gleichmäßige, meist runde Krümel aus. Guter Boden riecht gut, wie Waldboden oder Karotten. Er hat eine feuchte Struktur, ist aber nicht nass, auch wenn es geregnet hat. Pfützen finden sich nicht, auch nicht nach starkem Regen.
Bodenleben funktioniert in vernetzten Kreisläufen. Bei unserer Betrachtung steht am Beginn immer die wachsende Pflanze, die einen Großteil ihrer Fotosyntheseleistung in Form einfacher Kohlehydrate (Zucker) aber auch weiterer sekundärer Inhaltsstoffe über die Wurzel abgibt. Im Bodennahrungsnetz schließen sich dann die Mykorrhiza Pilze oder Bakterien an. Auf der 3. Ernährungsstufe finden sich pilz- und bakterienfressende Nematoden, aber auch ‚Räuber‘, die eine Kontrollfunktion haben damit bestimmte Bodenlebewesen nicht überhandnehmen. Regenwürmern und Insekten symbolisieren die 4. Ernährungsstufe, und diese liefert wiederum eine Nahrungsgrundlage für Maulwürfe und Vögel (Elaine Ingham 1999, The Soil Food Web).
Den Bodenpilzen (Mykorrhizen) kommt eine besondere Bedeutung zu, denn sie können Nitrat aufnehmen und tragen so zum Grundwasserschutz bei. Steht den Mykorrhiza Pilze genügend Kohlenstoff zur Verfügung, bilden sie Glomalin, ein Stoffwechselprodukt, dass die Hyphen wie eine Isolationsschicht umschließt. Sterben die Hyphen ab, trägt das verbleibende Glomalin zur Bildung einer runden Krümelstruktur des Bodens bei. Diese Mittelporenstruktur fördert den Gasaustausch, die Wasserspeicherfähigkeit und das Versickerungspotential. Global betrachtet ist diese ‚biogene‘ langfristige Einbindung von Kohlenstoff entscheidend, denn nun schließt sich der Kreis wieder. Nicht nur für die Einlagerung von Kohlenstoff sind Mykorrhizen wichtig. Im Stoffaustausch gegen einfache Zucker liefern sie dem Baum die Mikronährstoffe, die er zum Wachstum und zur Immunabwehr braucht und selbst nicht erschließen kann. Ganz nebenbei reichern sich diese wertgebenden Inhaltsstoffe auch in den Früchten an. Leider hat es die industrielle Landwirtschaft global betrachtet, durch den Einsatz von chemischem Dünger und Pestiziden geschafft, innerhalb von 50 Jahren den gesundheitserhaltenden Wert der Lebensmittel um 80 % zu reduzieren. Satt zu sein ist nicht gleichzusetzten mit gesund, nicht für uns, nicht für den Baum, nicht für den Boden, nicht für das Klima, nicht für die Zukunft. Deshalb setzt Schwäbisches WiesenObst auch in Zukunft darauf, Bäume zu pflanzen die eben mehr als 10 - 20 Jahre zum Wachsen benötigen, ein gut verknüpftes Wurzelwerk ausbilden und den nächsten Generationen dafür aber Früchte mit Mehrwert – Mittel zum Leben – liefern.
* benannt nach William Albrecht, einem US-Agrarwissenschaftler an der University of Missouri, der bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts die Zusammenhänge zwischen Fruchtbarkeit und Bodenqualität untersuchte